Life-Long Learning & Weiterbildung: Wir lernen nie aus

Professorinnen Katharina Boele-Woelki und Madeleine Bernhardt über die Zukunft des juristischen Lernens und welche Rolle Weiterbildung dabei spielt

Seit November 2021 ist Professorin Dr. Madeleine Bernhardt neue Direktorin des Bucerius Center on the Legal Profession (CLP), dem Expertisezentrum an der Bucerius Law School für die Gestaltung der Zukunft des Rechtsmarktes und dem wissenschaftlichen Ideengeber für die Weiterbildungs- und Beratungsangebote der Bucerius Executive Education. Mit der Präsidentin der Hochschule, Professorin Dr. Dr. h.c. mult. Katharina Boele-Woelki spricht Bernhardt über die Chancen der pandemiebedingten Digitalisierung für die juristische Lehre,  den Stellenwert von Persönlichkeitsentwicklung und Leadership Skills  in juristischen Berufen und warum Lifelong Learning eine Frage der inneren Einstellung ist.

Vom Ausnahmezustand zum neuen Normal

Die Pandemie hat endgültig den Weg für die Digitalisierung des Jurastudiums an der Bucerius Law School geebnet – um nicht zu sagen plattgewalzt. Zwei Jahre nach ihrem Beginn ist der Ausnahmezustand jedoch zum neuen Normal geworden und digitale Lehrformate haben viele bekannte und bewährte Formate abgelöst.

Die Bucerius Law School hatte in dieser Entwicklung zugegebenermaßen einen optimalen Ausgangspunkt: In ihrem hochschuleigenen Learning Innovation Labs entwickelte sie bereits vor der Pandemie digitale Lehrformate, die die Präsenzlehre effektiv unterstützen können.

Digitalisierung bietet Chancen für langfristigere Weiterbildungformate

Madeleine Bernhardt hat miterlebt, wie schnell auch bei der Weiterbildung die Digitalisierung seit Beginn der Pandemie Einzug gehalten hat und neue Konzepte und Formate entstanden sind. Hybride Veranstaltungen, Online-Tagungen und virtuelle Konferenzen nehmen einen immer wichtiger werdenden Stellenwert ein.

Die Digitalisierung eröffne interessante Perspektiven, erklärt Bernhardt, insbesondere für Weiterbildung zu Themen, bei denen es um Verhaltensänderungen ginge und damit um die Persönlichkeitsentwicklung. „Virtuelle Trainings ermöglichen auch kürzere Formate, die über längere Zeiträume von beispielsweise drei Monaten laufen und dadurch helfen, Routinen zu erlangen.“ Laut Bernhardt sind es insbesondere diese längerfristigen Entwicklungsprogramme, die der Rechtsmarkt braucht und zunehmend auch fordert.

Qual der Wahl: Sinnvolle Formatwahl die größte Herausforderung

Katharina Boele-Woelki sieht die größte Herausforderung darin, in der Vielfalt der verfügbaren Formate die sinnvollsten auszuwählen und die Frage zu klären, was es zu ersetzen und was es zu unterstützen gelte. „Die Bucerius Law School wird in erster Linie immer ein Ort der Präsenz bleiben“, betont Boele-Woelki. „Trotzdem müssen wir die Vorteile, die die Digitalisierung bietet, nutzen.“

Boele-Woelki sieht in der Digitalisierung eine besondere Chance zur Internationalisierung der Lehre: „Ich stelle mir vor, dass wir mit Hilfe der Digitalisierung unser Netzwerk an über hundert Partneruniversitäten dazu nutzen können, gemeinsame Lehrveranstaltungen aufzusetzen und damit Digitalisierung und Internationalisierung zusammenzubringen.“

Executive Education

Die Executive Education der Bucerius Law School bietet Weiterbildungsangebote für den Rechtsmarkt an. Dazu zählen u.a. Workshops & Trainings, Coachings für Jurist*innen, Blended Learning-Programme, Beratungen für Kanzleien sowie Konferenzen. Alle Programme sind nah an der juristischen Berufspraxis ausgelegt.

Mehr Infos

Persönlichkeitsentwicklung immer wichtiger im Rechtsmarkt

Madeleine Bernhardt, die vor ihrer Ernennung ins Direktorium des Bucerius CLP bereits als Expertin für HR, Leadership & Organisational Behavior in der Executive Faculty des CLP tätig war, hat sich auf die Themen Leadership und strategische Personalentwicklung spezialisiert. Die Beschäftigung mit der eigenen Persönlichkeit nehme, nach Ansicht der promovierten Juristin und Diplom-Psychologin, einen größeren Raum in der zukünftigen Weiterbildung ein.  Es gebe neben der Digitalisierung im Rechtsmarkt einen klaren Fokus auf längerfristige Entwicklungsprogramme von ein bis zwei Jahren:

„Die Teilnehmenden erfahren mit Hilfe diagnostischer Verfahren mehr darüber, welche ihre Stärken in der Führung sind, aber auch wo Risikopotenziale liegen,“ erläutert Bernhardt. „Im Verlauf längerer Entwicklungsprogramme haben die Teilnehmenden immer wieder die Chance, sich mit ihren Peers auszutauschen und zu sehen, wo sie in ihrer Entwicklung stehen. Sie setzen sich dadurch vertieft und regelmäßig mit ihrem eigenen Verhalten als Führungskraft (aber nicht unbedingt nur) auseinander.“

Persönlichkeitsentwicklung bereits im Studium

Die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit sei ein Bereich, auf den die Bucerius Law School auch in der Ausbildung schon immer großen Wert legte, ergänzt Katharina Boele-Woelki. „Dabei hinterfragen wir uns ständig selbst: „Sind wir auf dem richtigen Weg? Haben wir ausreichend Vorarbeit geleistet für die Führungsaufgaben, welche die jungen Jurist*innen, die unsere Hochschule verlassen, übernehmen?“

„Ich denke schon, dass wir diesbezüglich sehr viel anbieten“, fährt Boele-Woelki fort. „Wir haben für diesen Zweck ein hochschuleigenes Zentrum für Studium Generale und Persönlichkeitsentwicklung. Wir bieten dort Rhetoriktrainings an, Coaching, Kurse zur Stressprävention sowie zum Lern- und Zeitmanagement. Wir bieten aber zum Beispiel auch die Möglichkeit, an Mooting-Wettbewerben teilzunehmen, in denen man lernt zu argumentieren und wie man unter Druck Leistung erbringen kann. Das sind alles Skills, die später in der Weiterbildung auf fruchtbaren Boden fallen.“

Dazu Bernhardt: „Diese Idee des nurture your talent, dieser Dreiklang aus „fordern, fördern und schützen“ ist aus meiner Sicht ganz klar als Anspruch der Bucerius Law School zu erkennen, es wird hier sehr viel darin investiert, die Studierenden auch in schwierigeren, psychisch herausfordernden Situationen – und auch die juristischen Examina sind ja potenziell extrem belastende Ereignisse – zu unterstützen. Und die Kanzleien haben mittlerweile immer besser verstanden, dass sie ihre Talente pflegen müssen.“

Bucerius Center on the Legal Profession

Die Arbeit des Bucerius Center on the Legal Profession liegt auf der Erforschung des Rechtmarkts. Das CLP agiert an den Schnittstellen Recht und Wirtschaft, Management und Führung, Innovation und Digitalisierung sowie Persönlichkeitsentwicklung. Es begleitet den Rechtsmarkt mit Hilfe von Analysen, Veröffentlichungen und Befragungen, um Trends und Entwicklungen zu erkennen und aufzubereiten.

Mehr Infos

Diversität fördert die Persönlichkeit – auch bei Führungskräften

Bei der Frage nach der gewünschten Kanzleikultur ist man schnell bei der Frage nach der Vielfalt - in all ihren Facetten. Auch das noch etwas stockende Bestreben nach gender diversity in den Kanzleien ist in den Augen von Madeleine Bernhardt ein wichtiger Aspekt. Grundsätzlich müsse Vielfalt noch viel breiter gedacht und auch die individuellen Persönlichkeiten mit ihren Neigungen und unterschiedlichen Interessen genutzt werden.

Die Beschäftigung mit dem Thema, wie man Vielfalt in der Kanzleiwelt positiv nutzen kann, steht im CLP ganz weit oben und auch bei der Bucerius Law School wird viel getan, um diversity in allen Bereichen zu erreichen. Auch mit Blick auf die akademische Ausbildung wird das Thema großgeschrieben. So ist der Jahrgang 2021 der erste in der Geschichte der Bucerius Law School, der mit 58 Studentinnen und 58 Studenten Genderparität erreicht hat, was Boele-Woelki mit Freude erfüllt.

Nichtsdestotrotz denkt die Präsidentin weiter: „Ein Thema, das uns sehr beschäftigt, ist der geringe Anteil an Studierenden, der aus Nichtakademikerhaushalten kommt. Das versuchen wir aktiv zu ändern, beispielsweise mit Informationsveranstaltungen und besonderen Stipendien wie dem Chancen-Stipendium. Diversity ist so viel mehr als gender diversity, und wir wollen bei uns an der Hochschule noch weitere Schritte gehen, um uns einer wahren Vielfalt immer weiter anzunähern.“

Denn Diversität, unterschiedliche Biografien, Hautfarben, Gender, Lebensziele und vieles mehr, da sind sich beide Professorinnen einig, fördert die Persönlichkeit und sie fördert die effektive Zusammenarbeit - nicht nur, aber auch in Führungsteams. Diverse Führungsteams, dies zeigen Studien, arbeiten erfolgreicher, treffen bessere Entscheidungen und haben eine effektivere Kommunikation.

Madeleine Bernhard: „Dass diverse Führungsteams auch wirtschaftlich profitabler sind, wird durch Studien belegt – ich habe dennoch die Hoffnung, dass ich dieses Argument eines Tages gegenüber den einzelnen Entscheiderinnen und Entscheidern gar nicht mehr nutzen muss, um sie zu überzeugen“.


Diversität im Recht und in der juristischen Ausbildung

Diversität bereichert nicht nur Kultur und Gesellschaft, sondern auch das Recht. Im Leitartikel „Diversität im Recht und in der juristischen Ausbildung“ untersuchen wir, wie divers das deutsche Recht ist. Wir werfen einen Blick auf mögliche Missstände und beleuchten auch, wie um die Diversität an der Bucerius Law School bestellt ist.

Zum Leitartikel


Lifelong Learning – eine innere Einstellung!

Die Bucerius Law School lebt eine aktive Förderkultur. Die Hochschule sieht es als ihren Auftrag, jede Person in ihren individuellen Fähigkeiten und Interessen bestmöglich zu unterstützen und zu fördern. Das zeigt sich nicht nur in Weiterbildungsprogrammen der Executive Education, sondern bereits während der juristischen Ausbildung. Katharina Boele-Woelki ist immer wieder freudig überrascht über die vielen außercurricularen Aktivitäten, für die die Studierenden neben dem anspruchsvollen Studium noch Zeit finden. Für sie ist es ein Zeichen dafür, wie hoch die intrinsische Motivation der Studierenden ist, Neues zu lernen.

„Das Angebot an der Bucerius Law School mit seinen vielen Hochschulgruppen und studentischen Initiativen, Fremdsprachenkursen und zahlreichen Zusatzzertifikaten kann für die Studierenden erst einmal überwältigend sein. Wir sagen ihnen immer: Gehe deinen eigenen Interessen nach und schau, was dir, neben dem Pflichtprogramm, noch Freude bereitet. Die Studierenden sind von Natur aus neugierig. Sie sind aktiv, sportlich und politisch aktiv, und haben Ideen, die sie nicht nur träumen, sondern ganz konkret umsetzen“, schwärmt Boele-Woelki.

Kurzum: Lifelong Learning fängt an der Bucerius Law School bereits im Studium an und wird von den Studierenden aktiv vorgelebt. Durch die Neugierde der Studierenden sei beispielsweise das neuste Zertifikatsprogramm in Legal Technology entstanden oder auch die Hochschulgruppe „Klima und Nachhaltigkeit“. Es sei wunderbar zu sehen, dass die Studierenden etwas in der Gesellschaft bewirken wollen, so Boele-Woelki.

Führungskompetenzen bereits im Studium fördern!

Beide Professorinnen sind sich einig, dass Führungskompetenzen bereits während des Studiums thematisiert werden sollten. Bernhardt sieht einen klaren Vorteil darin, den Studierenden schon früh Erfahrungen aus dem Bereich der Führungskräfteentwicklung mit auf den Weg zu geben. Im Studium selbst könne dies an einigen Stellen helfen, Situationen zu meistern und Herausforderungen anzunehmen.

„Wir haben im letzten Jahr am CLP eine Studie mit Partnerinnen und Partnern zu emotionaler Intelligenz durchgeführt und die Teilnehmenden gefragt, wie sie emotional durch die ersten Pandemiemonate gekommen sind“, berichtet Bernhardt. „Da ging es um die Schwierigkeit, auf der einen Seite professionell agieren zu müssen, Service für die Mandantinnen und Mandanten zu leisten und andererseits die Facette des Miteinanders und des Kontakthaltens zu bedienen.“

Genau dies sei aktuell auch ein großes Thema an der Bucerius Law School: Einerseits exzellente Leistungen zu erbringen und andererseits das Miteinander nicht zu vernachlässigen und nicht zu vergessen, miteinander in Beziehung zu gehen.

Wer diesen Balanceakt bereits im Studium zu meistern lernt, hat also nicht nur gute Chancen auf Erfolg in späteren Führungspositionen – sondern vielleicht sogar auf eine erfolgreiche Bewältigung der Herausforderungen der kommenden Zeit.

Text

Iris Wahl, Florian Helwich, Annika Tangena

Hamburg