Pioniergeist in Krisenzeiten

Wie die Bucerius Law School sich durch die Corona-Pandemie neu erfindet

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Als eine der wenigen Hochschulen in Deutschland ist die Bucerius Law School in der Lage, den Hochschulbetrieb zügig und fast komplett digital aufrechtzuerhalten. Zum einen bedarf es für Fächer der Geisteswissenschaften, zu denen Jura zählt, keine hochspezielle räumliche Infrastruktur. Zum anderen gelang es dank frühzeitig erworbener digitaler Ressourcen und unermüdlichem Einsatz von Mitarbeiter:innen statt Shutdown der Lehre, die juristische Ausbildung der Studierenden weiter zu garantieren. Ein Rückblick auf die letzten Wochen macht dies deutlich.
 

Das Gefühl der Ausnahmesituation ist mittlerweile dem der Normalität gewichen. Dabei ist es gerade einmal einen Monat her, dass die Corona-Krise die Bucerius Law School dazu zwang, die Routine beim Studieren und Arbeiten aufzugeben und sich ohne viel Vorlaufzeit den neuen Herausforderungen zu stellen. Von jetzt auf gleich war die Hochschulleitung gefordert, agil zu managen und die eigenen Maßstäbe radikal zu überdenken – immer mit dem Ziel, die außerordentliche Belastung der Studierenden dabei so gering wie möglich zu halten und den Hochschulalltag im Interesse aller auf anderem Wege fortzuführen. „Mich hat sehr beeindruckt, wie alle Mitglieder der Hochschule ganz fokussiert auf das Eine hingearbeitet haben: den Campusbetrieb im Sinne der Studierenden um jeden Preis virtuell umzusetzen“, so der Rückblick von Meinhard Weizmann, Geschäftsführer der Bucerius Law School, auf die erste Woche der Campusschließung. „Als Präsenzhochschule ist für uns der Wechsel in die virtuelle Lehre alles andere als selbstverständlich gewesen. Zwar testen wir seit vielen Jahren neue Lehrformate, aber im Kern dreht sich unsere Hochschule um das Lehrgespräch im Hörsaal. Um so bewundernswerter finde ich, wie alle Lehrenden – von Professor:innen bis zu den Kleingruppen-Leiter:innen – sich auf die neue Situation eingelassen haben.“

Trimesterwandel – von analog zu digital


Mit neuer Situation ist nicht nur die Krise an sich, sondern auch der Umgang mit speziellen Softwarelösungen und die Gründung von Task Forces gemeint, die den Schlüssel zum erfolgreichen Wandel in eine immer virtuellere Hochschule darstellen. „Bereits Anfang des Jahres haben wir damit begonnen, die entsprechende Infrastruktur für virtuelle Meetings zu schaffen“, so Martin Meier, Leiter der Veranstaltungstechnik. „Diese wurde im Eiltempo großflächig ausgerollt, Lizenzen vergeben, Schulungen angeboten und diverse Fragen beantwortet – eine sehr hektische aber auch aufregende Zeit“, erinnert er sich. Mit minimaler Unterbrechung konnte so der Lehrbetrieb weitergehen. Die ersten Erfahrungen mit virtuellem Unterricht wurden in den Kleingruppen gemacht. Moritz Nickel, wissenschaftlicher Mitarbeiter, berichtet: „Als die Hochschule aufgrund eines Coronaverdachts geschlossen wurde, hatte ich gerade die ersten 20 Minuten meiner Kleingruppe hinter mir. Ich habe dann spontan angekündigt, die Veranstaltung am Nachmittag per Videokonferenz nachzuholen. Bis ich das optimale Setting gefunden hatte, um neben einer Powerpoint-Präsentation auch eine Art Tafelbild zu übertragen, hat es allerdings ein paar Sitzungen gedauert. Eine Präsenzveranstaltung ist natürlich lebendiger, doch unsere Video-Kleingruppen sind der beste Ersatz, den ich mir vorstellen kann.“

Ähnliches erzählt sein Kollege Philipp Kleiner. Er war überrascht, wie kommunikativ es in den virtuellen Kleingruppen zuging. Die Studierenden konnten über die Kamera ihre Beiträge teilen und diskutieren. Die Studienatmosphäre war wie gewohnt locker. „Mir ist wichtig zu erwähnen, dass ich viel Dankbarkeit seitens der Studierenden gespürt habe. Es wurde von ihnen nicht als selbstverständlich empfunden, dass nach Schließung der Hochschule der Betrieb fast reibungslos weitergeht“, sagt Philipp Kleiner. „In Hinblick auf meine Kleingruppe war es mir ein Anliegen, den Studierenden die gleichen Möglichkeiten für Fragen und Erläuterungen zu geben, wie bei analogen Treffen. Außerdem wollte ich ihnen die Sorgen und Ängste vor der neuen Situation mit digitalen Klausuren nehmen“, so der ehemalige Bucerius Student.

Die direkt nach Hochschulschließung beginnende Prüfungsphase der Studierenden im Grundstudium stellte Hochschulleitung und Prüfungsausschuss vor eine besonders schwierige Aufgabe. Es musste entschieden werden, wie die Klausuren abgelegt werden können, was technisch machbar ist. Auch hier war die Lösung eine Software speziell für Klausuren, die bereits seit mehreren Jahren im International Exchange Program sowie dem Fremdsprachenprogramm Anwendung findet. Doch bevor die Prüfungen komplett in den häuslichen Wänden der Studierenden geschrieben werden konnten, galt es den genauen Rahmen festzulegen. Prof. Dr. Karsten Thorn, Vorsitzender des Prüfungsausschusses, fasst zusammen: „Man fühlte sich an die Pionierzeit der Law School bei ihrer Gründung erinnert, als man in einem kleinen hochmotivierten Team aus ganz verschiedenen Bereichen der Hochschule ‚unbekanntes Land‘ eroberte und dabei auch gerne bis an die Grenze der Belastbarkeit ging. Wir hatten in den Prüfungswochen sehr viel zu leisten, da sich beständig neue praktische Probleme und rechtliche Fragen stellten.“ Als größten Motivator in diesen Wochen benennt Christiane Fischer, Leiterin des Prüfungsamtes, die Dankbarkeit: „Es war absolut rührend, wie viel Dank uns von Seiten der Studierenden entgegengebracht wurde. Das war mit der schönste Lohn für die zahlreichen Nachtschichten.“

 

Law School Spirit trotz Distanz


Parallel zu den Klausuren lief das Examensvorbereitungsprogramm mit seinen Veranstaltungen regulär weiter. Prof. Dr. Anne Röthel war eine der ersten Professorinnen, die mittels Videokonferenz-Tool eine Vorlesung abhielt. „Meine erste Erfahrung im virtuellen Hörsaal war tatsächlich ein besonderer Law School-Moment, den ich nicht vergessen werde: Als immer mehr Studierende den virtuellen Hörsaal betreten haben, als die ersten Fragen gestellt wurden, als die Zeit wie im Fluge verging und wir dann am Schluss – genauso wie im Hörsaal – noch im immer kleiner werdenden Kreis miteinander gesprochen haben. Es war gar nicht so einfach, den richtigen Punkt zu finden, um aus dem virtuellen Raum auch wieder herauszugehen. Ich bin den Studierenden sehr dankbar dafür, wie freundlich, offen und neugierig sie unsere gemeinsame ‚Raumfahrt‘ mitgemacht haben. Es war so viel Wertschätzung und Gemeinsamkeit spürbar – und zugleich ist mir bewusst geworden, wie viel wir Lehrenden derzeit geben können, das über die Begleitung beim Eintauchen in Welt des Rechts hinausgeht: Zuversicht, Perspektive, Vergewisserung.“

Neben den Vorlesungen und Klausuren sowie dem Ausbau digitaler Bibliothek-Services für Forschungs- und Recherchearbeiten war die Arbeitsfähigkeit der Verwaltung im Homeoffice ein weiterer wichtiger Punkt, der sichergestellt werden musste. „Wir haben mit Hochdruck die technischen Möglichkeiten evaluiert, allen Mitarbeiter:innen von zu Hause einen sicheren Zugang zu den Verwaltungsdatenbanken einzurichten. Darüber hinaus haben wir eiligst FAQ-Seiten zu diversen Themen erstellt, um so den Hilfesuchenden eine erste Anlaufstelle zu bieten, während wir die zahlreichen Anfragen abarbeiten“, berichtet Mirco Schmedicke, Leiter der IT-Abteilung.
 

Seit Mitte März wurden insgesamt 1200 Einzelklausuren eingereicht, mehr als 40 Kleingruppen fanden virtuell statt, über 600 individuelle Videokonferenzen wurden geführt und rund 1400 E-Mails und 400 Helpdesk-Tickets sind bei der IT eingegangen. Mit dem Vertrauen in die Arbeit der Hochschule, dem Verantwortungsbewusstsein jedes einzelnen und dem pausenlosen Einsatz der IT-Abteilung im Hintergrund wurden so die anfänglichen Hürden und Herausforderungen gemeistert und der Grundstein für einen neuen Hochschulbetrieb gelegt: „Ohne den viel beschworenen Law School Spirit hätten wir viele Probleme bestimmt nicht so erfolgreich und vor allem so schnell lösen können“, meint Mirco Schmedicke.

Gemeinsam wird dieser Erfolg weiter vorangetrieben, wie Jonathan Schramm, Referent der Geschäftsführung, erläutert. Er zeichnet unter anderem für die Koordination der virtuellen Lehrveranstaltungen und die Krisenkommunikation verantwortlich. „Ich bin im positiven Sinne sprachlos, wie die ungewohnte Situation von allen als Chance wahrgenommen wird ganz neue Ideen auszuprobieren. Die Bereitschaft der Dozent:innen, quasi alle Veranstaltungen jetzt virtuell anzubieten, unsere Social Media Aktionen unter dem Motto #BuceriusBleibtZuhause oder der virtuelle Schnuppertag sind nur drei Beispiele dafür. Über Abteilungen und Hierarchien hinweg per Fernleitung so produktiv zusammenzuarbeiten, ist eine wertvolle und hoffnungsvolle Erfahrung – auch für die Zukunft.“
 

Dass sich Videokonferenzen ebenso anderweitig nutzen lassen als für wöchentliche Professorien, den Austausch mit der Studierendenvertretung und den Abteilungsleiter-Runden, zeigen gemeinsame After-Work-Formate, Mittagspausen oder Lesestunden für die Kinder der Hochschulmitglieder vor der Kamera: „Die Fürsorge untereinander hat enorm zugenommen. Jeder sorgt sich, dass niemand vergessen wird. Der Campus ist ein zentraler Teil unserer Identität, doch unsere Gemeinschaft lebt auch ohne ihn weiter – vielleicht wird sie sogar noch stärker. Trotz Distanz habe ich den Eindruck näher an den Kolleg:innen dran zu sein. Wir treffen uns ja quasi im jeweiligen Wohnzimmer“, kommentiert Meinhard Weizmann das derzeitige Campusleben. Und Philipp Kleiner ergänzt „Ich habe das Gefühl, dass unsere Hochschule insgesamt mehr zusammengerückt ist, sodass man wirklich von einer ‚Law-School-Familie‘ sprechen kann.“

Nach Corona: Quantensprung digitaler Lehrformate


Aktuell steht die Planung eines digitalen Sommertrimesters mit interaktiv angelegten Webinaren auf der Agenda der Hochschule – bei über 110 curricularen Angeboten ein organisatorischer Kraftakt. Beim Umzug in den virtuellen Raum unterstützen die IT und das kürzlich gegründete Learning Innovation Lab, ergänzt durch technisch versierte Kolleg:innen, denn auch in Krisenzeiten hat die Bucerius Law School ihren Pioniergeist nicht verloren. Dazu Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Katharina Boele-Woelki: „Bereits jetzt steht ein Großteil an digitalem Lernmaterial zum Selbststudium auf der Website der Bucerius Law School zur Verfügung, welches öffentlich und kostenlos von Jurastudierenden anderer Hochschulen genutzt werden kann. Darüber hinaus sind wir gemäß des Mottos ‚Not macht erfinderisch‘ dabei ein neues Lehrformat für die Vorlesung „Urheberrecht“ zu entwickeln mit halbstündigen Videosequenzen, selbstständiger Vorbereitung des Stoffes durch die Studierenden und anschließenden Diskussionskonferenzen. Damit werden unsere Blended Learning-Formate um eine weitere Variante ergänzt. Einen Antrag auf Förderung werden wir dafür bei einer Stiftung zur Förderung von Wissenschaft stellen.“

Doch nicht alle Veranstaltungen des kommenden Trimesters lassen sich digital durchführen, und so wurden bereits Bachelorverleihung, Hochschulball und Sommerfest auf einen späteren Zeitpunkt verschoben. Die Bucerius Summer Programs sowie die ChampionsThropy mussten dagegen für 2020 leider komplett abgesagt werden.

Was die nächsten Monate mit sich bringen werden, ist nicht vorhersehbar. Sicher ist nur, dass jede Bildungseinrichtung am Ende dieser Pandemie verstanden haben wird, wie wichtig es ist, sich neu zu erfinden und sich parallel zur Präsenzlehre digital aufzustellen, um handlungsfähig zu bleiben. Digitale Lehrformate sind in Krisenzeiten eine Alternative, auch wenn sie eine Präsenzveranstaltungen nie vollwertig ersetzen können. „Wie geht es weiter? Welche Entscheidungen müssen wir wann für die nahe und vielleicht sogar für die ferne Zukunft treffen? Das ist derzeit unsere tägliche Aufgabe und zwar in allen Bereichen der Hochschule“, sagt Prof. Boele-Woelki. „Es wird nicht mehr so wie es einmal war; das werden wir insbesondere in der Lehre feststellen. Der Einsatz digitaler Lehrformate macht derzeit einen Quantensprung. Von den Studierenden wird jetzt und auch zukünftig ein aktiveres Lernverhalten erwartet“, so die Präsidentin. In der Zwischenzeit ziehen die Mitglieder der Law School Community aus sicherer Distanz weiter gemeinsam an einem Strang und leben ein Stück Normalität in der Ausnahmesituation, wie Prof. Röthel resümiert: „Für die Studierenden gilt dasselbe wie für uns Lehrende: Das, was unserem Leben jetzt Sinn und Halt gibt, ist das weiter zu tun, was auch schon ‚vor Corona‘ wichtig und sinnvoll war. Für die Studierenden ist es das Studium – für mich gehört dazu die Lehre.“

Lena Johannes

Hamburg