Amadou Sow: Recht und Rassismus in Deutschland

Die Black Lives Matter-Debatte, wie es um Rassismus im und mit dem deutschen Recht steht und was man besser machen kann – Fofftein – Folge #8

Forschung & Fakultät |

Sind Recht und Rechtswissenschaft in Deutschland strukturell rassistisch?

Würden wir das Recht fragen: „Bist du rassistisch?“, würde das Recht wohl antworten: „Nein, vor mir sind alle Menschen gleich. Das steht in meiner Verfassung. Dort steht auch, dass niemand wegen seiner Abstammung, Rasse, Sprache, Herkunft und Heimat benachteiligt werden darf.“ Dem müsste man wohl entgegnen: „Reicht das schon? Kann auch unter dem Deckmantel dieser formalen Rechtsgleichheit Rassismus stattfinden?“

 

Aber was ist eigentlich Rassismus?

Nach dem alten Rassismusbegriff hätte man dem Recht diese Selbstbeschreibung wahrscheinlich abgekauft. Man verstand Rassismus eng und nannte ihn eine Benachteiligung von Menschen aufgrund ihrer zugeschriebenen Rasse. Zentral waren dabei gewollte, häufig staatlich bewirkte Benachteiligungen sowie solche, die von besonders bösen einzelnen Individuen ausgingen. Solche Formen der Repression hat unser Rechtsstaat mittlerweile weitgehend überwunden oder zumindest verboten.

 

Der moderne und weite Rassismusbegriff

Gleichzeitig sind Ungleichheiten verblieben, die sich auf „ethnische“ Merkmale zurückführen lassen, weswegen wir heute ein eher weites Verständnis von Rassismus haben. Wir verstehen ihn als ein gesellschaftliches Machtverhältnis und negativen Effekt unserer Kultur. Dieses moderne, weite Verständnis hat zwei wichtige Vorteile: Es passt zum einen zur komplexen, modernen, aufgeklärten Gesellschaft, in der keine offene Repression stattfindet. Zum anderen entlastet es vom moralischen Vorwurf. Wir sind alle Rassisten, weil wir in rassistischen Kontexten und Strukturen groß geworden sind und leben.

Manche Abläufe unseres Rechts können Teil dieser Strukturen sein, denn das Recht ist nicht nur ein neutrales Regelsystem, es ist auch ein Herrschaftsinstrument und Machtmechanismus. Gleichzeitig ist es aber auch eine Kulturleistung. Kultur meint die Gesamtheit der symbolischen Effekte, von Sprache über Alltagspraktiken bis hin zu den Institutionen und Wissenssystemen. Kultur ist also ein kollektives Bedeutungsgeflecht, eine Gemeinschaft und ein Sinnuniversum.

Das Recht ist ein Teil der symbolischen Wirklichkeiten, mit denen wir unsere Welt strukturieren und von der wir strukturiert werden. Es gibt also eine Wechselwirkung des Rechts und seiner Umwelt. Dies bedeutet, dass das Recht auch vorhandene rassistische Effekte transportieren kann. Dabei können in den Abläufen des Rechts rassistische Momente auftreten. Dies geschieht häufig dann, wenn die formale Gleichheit des Rechts auf soziokulturelle Wirklichkeiten stößt, in denen keinesfalls Farbenblindheit herrscht.

Was kann die Rechtswissenschaft aus der Black Lives Matter-Debatte lernen?

Aus der BLM-Debatte können wir zwei ganz wesentliche Lektionen lernen. Erstens, Rassismus ist ein Faktum, auch in einer westlichen und liberalen Demokratie wie in den Vereinigten Staaten. Das hat in Deutschland zu mehr Akzeptanz für dieses Faktum geführt. Dadurch ist mehr Raum für die Sichtbarkeit für People of Color im öffentlichen Diskurs entstanden.

Die zweite Lektion ist komplizierter und um sie zu ziehen, müssen wir unsere Perspektive anpassen: Wir dürfen nicht zu vereinfachend unsere Zustände auf die amerikanischen beziehen. Wenn hierzulande amerikanische Entwicklungen aufgegriffen werden, wie beispielsweise die BLM-Debatte, dann passiert es oft überspitzt und oberflächlich. Wir importieren einfach die Standpunkte, ohne ihren spezifisch amerikanischen Kontext zu bedenken.

Während der eine Teil der Bundesrepublik Deutschland sich in einer Retropie verortet, in der brave Gendarme Störenfriede jagen, sorgt sich der andere Teil, dass bei uns alles genauso wie in den USA und die Polizei, womöglich der ganze Staat, eine fundamental rassistische Institution sei. Stattdessen benötigen wir ein eigenes Verständnis der Rassismen im Deutschland des 21. Jahrhunderts, dessen Realität in der Mitte dieser beiden Extreme liegt.

 

Gibt es konkrete, realistische Handlungen, die Besserung versprechen?

Ein symptomatisches Beispiel für rassistische Diskriminierung bei uns bietet das Polizeirecht, nämlich das sogenannte Racial Profiling in der Polizeiarbeit. Das bedeutet im Wesentlichen, dass Polizisten auf äußerlich erkennbaren, „ethnischen“ Merkmalen wie der Hautfarbe beruhend Menschen als verdächtig einschätzen und verstärkt kontrollieren oder verfolgen. Die diskriminierenden Effekte sind klar: Die betroffenen People of Color werden zu Außenstehenden gemacht und sind einer potenziell ständigen Bedrohung im öffentlichen Raum ausgesetzt.

 

Wie kann man das lösen?

Es gibt in der Polizeirechtswissenschaft verschiedene Ansätze. Einer davon ist der folgende: Wird jemand zu Unrecht Opfer von Racial Profiling und will dafür eine Entschädigung, muss dieser in einem Rechtsstaat nachweisen, dass der betreffende Polizist aus rassistischen Gründen gehandelt hat.

Das Problem ist dabei typischerweise, dass es eine Informationsasymmetrie gibt. Ein Polizist wird immer in der Lage sein, neben der Hautfarbe auch andere Merkmale zu nennen, aufgrund derer die betreffende Person kontrolliert wurde. Die polizeiliche Motivation ist dabei die zentrale Frage des Rechts: Es muss nachgewiesen werden, dass der Polizist aufgrund von Hautfarbe gehandelt hat. Es wird daher in der aktuellen Debatte teils eine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast in Racial Profiling-Prozessen gefordert.


Videoreihe „Fofftein“

Mit der Videoreihe „Fofftein“ möchten wir juristische Themen von gesellschaftlicher Relevanz für die interessierte, aber juristisch nicht vorgebildete Öffentlichkeit erklären und einordnen. Hierzu werden Mitglieder der Fakultät, Alumnae oder Alumni als Expert*innen eingeladen. In 5-10 Minuten – eben einer kurzen Kaffeepause – führen wir in die Thematik, beteiligte Akteure und die Umstände ein und erklären die Grundsätze des behandelten rechtlichen Themas.

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Gute Ansätze in einem neuen Gesetz

In Deutschland gibt es ein erstes Gesetz, das genau diese Umkehr statuiert, nämlich das Berliner Landesantidiskriminierungsgesetz. Danach gilt: Werden Tatsachen glaubhaft gemacht, die das Vorliegen eines Verstoßes überwiegend wahrscheinlich machen, obliegt es der öffentlichen Stelle, diesen Verstoß zu widerlegen.

Das Echo auf dieses Gesetz war teils sehr kontrovers. So meinte Horst Seehofer, es sei im Grunde ein „Wahnsinn“. Es gab einen Aufschrei, bei dem man sich fragt, ob Teilen der Politik klar ist, welche Macht und Gewaltverhältnisse vom Recht zur Verfügung gestellt werden: Auf der einen Seite bewaffnete Staatsbeamte, mit dem Gewaltmonopol ausgestattet, auf der anderen Seite typischerweise ohnehin marginalisierte People of Color.

 

Zurück zur weiten, modernen Rassismus-Definition

Es geht gar nicht darum, einzelne Polizisten im Hinblick auf Diskriminierungen unter Generalverdacht zu stellen. Es geht stattdessen darum, eine Schwachstelle unseres gemeinsamen, demokratischen Rechtsstaats auszumachen und diese zum Wohle aller zu beseitigen. Wenn so das Polizeirecht noch feinere Instrumente zur Regulierung von staatlichen Maßnahmen bereitstellt, wird das am Ende allen zugutekommen, nicht nur People of Color.

 

Universalität und Gerechtigkeit im deutschen Recht

Es werden nicht alle Fragen des Rassismus allein vom Recht gelöst werden können. Jede Hoffnung hier ins Recht zu setzen, würde die Leistungsfähigkeit der Form des Rechts überfordern. Bis es aber so weit kommt, gibt es genügend Raum für rechtliche Verbesserung. Das Recht muss dauerhaft an seinem eigenen Versprechen, der wirklichen Universalität und Gerechtigkeit gemessen werden, auch wenn es dieses Versprechen in der Realität ständig verfehlen muss.

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