Felix Tann: Impfstoffpatente in Zeiten von Corona

Das Patentschutzrecht vor dem Hintergrund der Forderung nach einer weltweiten Freigabe von Covid-19-Impfstoffpatenten– Fofftein – Folge #22

Forschung & Fakultät |

Worum geht es bei der Aufhebung des Patentschutzes auf Covid-19-Impfstoffe?

Verschiedene Nationen und internationale Organisationen fordern die Aufhebung des immaterialgüterrechtlichen Schutzes für Patente auf Impfstoffe sowie andere medizinische Produkte, wie beispielsweise Masken oder Schnelltests, die bei der Bekämpfung der Corona-Krise eine wichtige Rolle spielen. Der Hintergrund des Vorschlags liegt in der weltweiten Ungleichverteilung des verfügbaren Impfstoffs, welche das Risiko weiterer Mutationen und damit verbundenen menschlichen Leids erhöht.

 

Ist die Schutzaufhebung zielführend?

Die rein rechtliche Schutzaufhebung von Patenten auf Covid-19-Impstoffe erscheint nicht abschließend zielführend. Vielmehr müsste entweder die rechtliche Schutzaufhebung durch praktische Hilfemaßnahmen flankiert werden oder von vornherein der Weg über andere, weniger einschneidende rechtliche Maßnahmen – wie etwa die Erteilung von Zwangslizenzen – gewählt werden. 

 

Viele weitere Problematiken…

Zunächst ist der Patentschutz praktisch nicht die größte Hürde. Vielmehr stellen die Ressourcenverfügbarkeit, das Wissen um die Herstellungsmethoden, die Bereitstellung der nötigen Infrastruktur sowie die sicheren und effektiven Zulassungen im jeweiligen Land die größten praktischen Hürden bei der Produktion patentierter Impfstoffe dar. Am Beispiel der mRNA- und Vektorimpfstoffe wird zudem deutlich, dass deren Herstellung ein großes Knowhow erfordert.

Gerade dieses, nicht im Rahmen des Patents veröffentlichte, Fertigungs-Knowhow wäre ebenfalls nicht Teil des freigegebenen Patents und könnte einer erfolgreichen Impfstoffproduktion erheblich im Weg stehen. All dies erschwert eine einfache, schnelle und unmittelbar umsetzbare Generika-Herstellung, selbst wenn der Patentschutz aufgehoben werden würde.

Aktuelles Beispiel: Moderna-Vakzin

Konkretes Beispiel hierfür ist das Moderna-Vakzin, bei welchem die Patentdurchsetzung während der Pandemie ausgesetzt wurde und es dennoch zu keiner nennenswerten Produktion von sogenannten Bio-Similars (Nachahmerpräparate biologischer Arzneimittel wie etwa Impfstoffe) kam, da das nötige Knowhow zur Umsetzung der Patente weiterhin bei Moderna liegt.

Ein möglicher, vermeintlich besserer Weg als die immaterialgüterrechtliche Schutzaufhebung wäre daher die Ausweitung von Partnerschaften und Kooperationen zur Skalierung der weltweiten Impfstoffproduktion und - verteilung. Ansätze hierfür bestehen etwa in der WHO-Initiative „Access to COVID-19 Tools (ACT)“ oder dem Programm Covax zur weltweiten Verteilung von Impfstoffen.

 

Aus dem juristischen Blickwinkel

Betrachtet man die Angelegenheit unter der Brille einer juristischen Verhältnismäßigkeitsprüfung, fällt auf, dass der Entzug des immaterialgüterrechtlichen Schutzes das wohl schärfste Maßnahmenschwert darstellt. Weniger einschneidend wäre alternativ eine Vorgehensweise nach Artikel 13 des TRIPS-Abkommens und damit die Erteilung von Zwangslizenzen. Zwangslizenzen erlauben die Nutzung von Patenten auch gegen den Willen des Patentinhabers soweit besondere Umstände – wie etwa eine globale Pandemie – gegeben sind.

Sie beschränken die Rechtsposition des Patentinhabers, ohne diese vollständig zu entziehen. Erweitert man nun noch den Anwendungsraum der Erteilung von Zwangslizenzen durch eine weite Interpretation ihrer Voraussetzungen, so scheint eine valide, weniger einschneidende Alternative gegeben zu sein.

Weder die komplette Schutzaufhebung noch die Erteilung von Zwangslizenzen könnten jedoch Probleme fehlender Infrastruktur vor Ort oder des Ressourcenmangels kurzfristig beseitigen. Darüber hinaus ist es fraglich, ob – selbst bei einer erfolgreichen Bio-Similar-Produktion – die Kosten, aufgrund der Komplexität der Herstellung neuartiger mRNA-Impfstoffe, erheblich sinken würden.

Zudem könnte sich eine Aufhebung des Schutzes negativ auf die Innovations- und Investitionsbereitschaft in der Pharmaindustrie auswirken. Es scheint also, als ob die Initiative zur Aufhebung des Patentschutzes zwar aus guten Intentionen gestartet wurde und einen langen überfälligen Handlungsanstoß gibt, jedoch praktisch auf einige signifikante Hürden trifft.


Videoreihe „Fofftein“

Mit der Videoreihe „Fofftein“ möchten wir juristische Themen von gesellschaftlicher Relevanz für die interessierte, aber juristisch nicht vorgebildete Öffentlichkeit erklären und einordnen. Hierzu werden Mitglieder der Fakultät, Alumnae oder Alumni als Expert*innen eingeladen. In 5-10 Minuten – eben einer kurzen Kaffeepause – führen wir in die Thematik, beteiligte Akteure und die Umstände ein und erklären die Grundsätze des behandelten rechtlichen Themas.

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Wie könnte eine Lösung aussehen?

Eine mögliche Lösung der Problematik kann nur in einer Kombination aus rechtlichen Veränderungen und praktischem Ausbau der internationalen Kooperation liegen.

Zunächst müsste man rechtliche und praktische Möglichkeiten jedoch gedanklich voneinander trennen. Das Immaterialgüterrecht sollte und kann nicht die alleinige Antwort auf diese komplexe Problemlage sein. Bio-Similars sind aus verschiedenen Gründen nicht mit klassischen Generika vergleichbar. Eine isolierte, rein rechtliche Schutzaufhebung ist als kurz- oder mittelfristige Hilfe eher ungeeignet.

Nur mit Blick auf weniger komplexe Impfstoffe und medizinisches Equipment mag bereits der rein rechtliche Vorschlag – sei es in Form einer Schutzaufhebung oder in Form der Erteilung von Zwangslizenzen – hilfreich sein. Hinsichtlich komplexerer, neuartiger mRNAImpfstoffe und kompliziertem medizinischen Equipment stehen jedoch zumeist praktische Probleme im Vordergrund, weshalb eine isolierte rechtliche Lösung nicht zielführend ist, sondern vielmehr nur ein Teil eines großen Maßnahmenpakets sein kann. Eine mittel- und langfristige Lösung kann nur im Aufbau von Infrastruktur und Knowhow zur Impfstoffherstellung mithilfe von Kooperationen und Wissenstransfer liegen.

Rein rechtlich betrachtet könnten Zwangslizenzen ein möglicherweise besser geeignetes Mittel im Verhältnis zu kompletten Schutzaufhebungen darstellen. Erneut ist jedoch deutlich geworden, dass eine Lösung vermutlich eher in praktischer Hilfe und Kooperation mit rechtlich maßgeschneiderten Maßnahmen liegt, als in der rein rechtlichen Aufhebung des Patentschutzes.

Nur integrierte Maßnahmen, die angemessene rechtliche Veränderungen mit einer Erhöhung praktischer Kooperationen auf weltweiter Basis kombinieren, bringen uns dem gemeinsamen Ziel der effektiven Bekämpfung von Covid-19 näher.

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