Gibt es Freiheit? Und wenn ja, wie viele?

Diskussion im Studium generale

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Katrin Bennhold, Ulf Poschardt und Christoph Möllers diskutieren an einem unterhaltsamen und bewegenden Abend mit viel Verve über ihr Verständnis von Freiheit und die Frage, wie weit der Staat in die Bürgerrechte eingreifen darf. Ein Abend, an dem auch die Bedeutung des konstruktiven Streits als Teil der Debattenkultur im Mittelpunkt stand.

Am 6. März 2024 waren WELT-Chefredakteur Ulf Poschardt, der Verfassungsrechtler und Rechtsphilosoph Prof. Dr. Christoph Möllers und die New York Times-Journalistin Katrin Bennhold (Moderation) zu Gast an der Bucerius Law School. Die Podiumsdiskussion wurde im Rahmen der „Freiheitsdebatten: Streiten für Zuversicht, Mut und Verantwortung“ vom Zentrum für Studium generale und Persönlichkeitsentwicklung (ZSP) in Kooperation mit der ZEIT STIFTUNG BUCERIUS veranstaltet. Der Politikberater und ehemalige Berater des französischen Premierministers, Christoph Gottschalk, kuratierte und eröffnete die Veranstaltung. Gottschalk ist Mitglied im Beirat des ZSP. Er zitierte Prof. Möllers sinngemäß: „Man kann heute nur liberal sein, wenn man nicht genau weiß, wo die Freiheit anfängt und wo sie aufhört.“ Gleichzeitig warnte er davor, dass ein zu schillernder Freiheitsbegriff zu einer Entkernung desselben führen könne. Gottschalk betonte auch, wie wichtig das Nachdenken, Reden und Streiten über Freiheit als zentralen Wert unserer Gesellschaftsordnung sei.

 

Bedeutung von Freiheit

Für Ulf Poschardt ist Freiheit die zentrale Ursprungsidee des Westens, die sich in unserer Verfassung manifestiert. Gleichzeitig ist in seinen Augen heute wenig vom Geist der liberalen Verfassung übriggeblieben – Freiheitsräume hätten sich verengt und Freiheit sei zu einem unbestimmbaren „Wieselwort“ geworden. Der WELT-Journalist konstatierte eine Zunahme der Unfreiheit seit den 1950er Jahren und kritisierte vor allem die gesellschaftliche Moralisierung von Verhaltensweisen. Demgegenüber sieht er in den Motiven der 68er-Bewegung eine radikale Freiheit, die er bewundert und im Gegensatz zu vielen Positionen der heutigen Linken sieht.

Für Prof. Christoph Möllers hingegen ist die Idee des radikalen Individualismus eine gesellschaftliche Konstruktion und Individualität eine Gemeinschaftsleistung. Auch sieht er keinen zunehmenden Verlust der liberalen Idee im Grundgesetz. Der Professor für Verfassungsrecht an der Humboldt-Universität zu Berlin legt zudem Wert auf die Unterscheidung zwischen Liberalismus und Freiheit. Es gebe historisch keinen einheitlichen Liberalismus, sondern entweder Rechts- oder Linksliberalismus. Und wenn es in der Geschichte einmal einen Links- oder Rechtsliberalismus gegeben habe, sei er schnell wieder in beide Strömungen zerfallen.

 

Freiheit in der Gesellschaft

Die Debatte umfasste ein breites Themenspektrum: von Klimapolitik über Migration, das AfD-Verbotsverfahren, Bevormundung und Moralisierung der politischen Debatte, den Ukraine-Krieg bis hin zu Klassen- und Ost-West-Unterschieden. Ulf Poschardt stellte die sozialen Verwerfungen der Corona-Pandemie in den Vordergrund. Hier sei er schockiert und ernüchtert gewesen, wie schnell viele in der Gesellschaft derart drastische Freiheitseinschränkungen nicht nur bereitwillig hingenommen, sondern auch inbrünstig verteidigt und gefordert hätten. Dem hielt Christoph Möllers entgegen, dass wir in Deutschland immer noch in relativ freien Verhältnissen lebten. Er stellte das Verhältnis einer Gesellschaft zur Freiheit auch in einen größeren historischen Zusammenhang. Vor diesem Hintergrund wies er darauf hin, dass die allermeisten Staaten und Gesellschaften ein gewundenes Verhältnis zum Autoritarismus und zum Freiheitsdrang der Menschen hätten.

Unterstützt von einem Zitat von George Orwell stellte Katrin Bennhold die These auf, dass viele Menschen nicht ohne Grund den Bezug zu einem Gemeinschaftsgefühl verloren hätten. Vor allem die liberalen Eliten hätten es versäumt, die Menschen mitzunehmen und ihnen einen Sinn zu geben.

Einig waren sich die drei Gäste in dem Ziel einer offeneren Streit- und weniger sensiblen Debattenkultur. Nach der anregenden Diskussion auf dem Podium blieb auch Zeit für Fragen aus dem Publikum. Bei Brezeln und Wein wurde anschließend noch lange weiterdiskutiert: Alle drei Gäste stellten sich den Fragen insbesondere der anwesenden Studierenden und traten in einen offenen Austausch.

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