Hannah Franz: Das Gemeinsame Europäische Asylsystem

Alumna Hannah Franz versucht Ordnung in die Debatte zu bringen und erklärt die wichtigsten Begriffe und Hintergründe zum GEAS in Fofftein-Folge #34.

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Welche Regelungen gelten für Menschen, die in Europa Asyl beantragen wollen? Wo haben die Vorschriften ihren historischen Ursprung? Welche Reformen werden aktuell diskutiert? Und worauf bezieht sich die geäußerte Kritik an den Veränderungsvorschlägen?

WAS BEDEUTET DER BEGRIFF GEAS ÜBERHAUPT?

Seit Monaten wird in Deutschland und Europa über eine Reform der Asyl- und Migrationspolitik diskutiert. Im Juni 2023 erklärte Bundesinnenministerin Faeser, man habe historische Entscheidungen für ein Gemeinsames Europäisches Asylsystem – kurz: GEAS getroffen.

Wer in der EU Schutz sucht oder erhalten hat, der hat nicht das Recht, sich den Mitgliedstaat auszusuchen, indem er oder sie sich niederlassen möchte. Damit daraus kein Nachteil für die Schutzsuchenden entsteht, gibt es das gemeinsame Europäische Asylsystem.

Dieses System beinhaltet Mindeststandards und soll Schutzsuchenden garantieren, dass sie in jedem EU-Mitgliedstaat eine annähernd gleiche rechtliche Behandlung erfahren.

In den letzten Monaten wurde das GEAS aufgrund von geplanten Reformen in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Bei den geplanten Reformen geht es im Wesentlichen darum, dass über die Gewährung von Asyl bereits an der EU-Außengrenze entschieden werden soll.

Außerdem soll es einen verbindlichen Mechanismus zur Verteilung der Schutzsuchenden innerhalb der europäischen Staaten geben.

 

 

WAS SIND DIE HINTERGRÜNDE UND RECHTLICHEN RAHMENBEDINGUNGEN EINES GEMEINSAMEN EU-ASYLSTEMS?

Ab Mitte der 1990er Jahre wurde mit dem Schengener Abkommen der freie Personenverkehr zwischen den Binnengrenzen der europäischen Länder eingeführt. Es gab also fast keine Grenzkontrollen innerhalb Europas mehr.

Deshalb wurden Regelungen zur Einreise an den europäischen Außengrenzen notwendig. Die beteiligten Mitgliedstaaten vereinbarten in diesem Zuge erste Schritte zur Harmonisierung der nationalen Asyl- und Visapolitiken und auch zur Überwachung der gemeinsamen Außengrenzen.

Mit dem Vertrag von Amsterdam wurde dann im Jahr 1999 die Schengener Zusammenarbeit in den Rahmen der EU überführt und weite Teile der Migrationspolitik in die Verantwortung der europäischen Gemeinschaft übergeben.

Die Teilbereiche der Migrationspolitik haben sich seitdem ganz unterschiedlich entwickelt. Im Bereich des Asylrechts nach Artikel 18 EU-Grundrechtekarte konnten sich die Mitgliedstaaten auf gemeinsame Mindeststandards einigen und Kriterien für die Bestimmung der Zuständigkeit über Asylanträge festlegen.

Primärrechtliche Grundlage für diese gemeinsame Asylpolitik ist Artikel 78 Absatz 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der EU. Dort ist festgelegt, dass die EU eine gemeinsame Politik im Bereich subsidiären Schutz und vorübergehender Schutz entwickelt.

Ergebnisse seien, dass allen schutzbedürftigen Drittstaatsangehörigen – also allen Menschen, die nicht EU-Bürger sind – ein angemessener Status angeboten wird. Außerdem wird der Grundsatz der Nicht-Zurückweisung gewährleistet. Das heißt, Schutzsuchende können nicht ohne Verfahren an den EU-Außengrenzen abgewiesen werden.

In diesem Zusammenhang sind einige EU-Richtlinien entstanden, die das gemeinsame europäische Asylsystem prägen. Dazu gehört zum Beispiel die EU-Verfahrensrichtlinie, die Richtlinie über Aufnahmebedingungen und die Anerkennungsrichtlinie.

Die Asylverfahrensrichtlinie von 2013 liegt gemeinsame Schutzstandards und Garantien fest, um den Zugang zu einem fairen du zügigen Asylverfahren zu gewährleisten. Mit der Aufnahmerechtlinie ebenfalls aus dem Jahr 2013 werden gemeinsame Mindeststandards für die Lebensbedingungen für Asylbewerber:innen festgelegt. Und sie soll gewährleisten, dass die Schutzsuchenden Zugang zu Unterkunft, Verpflegung, Beschäftigung und Gesundheitsversorgung erhalten. Die Anerkennungsrichtlinie von 2011 legt gemeinsame Standards für die Zuerkennung internationalen Schutzes fest und gewährt eine Reihe von Recht.

Zum Beispiel die Gewährung von Aufenthaltstiteln, die Ausstellung von Reisedokumenten, die soziale Absicherung, medizinische Versorgung und die Bewahrung des Familienverbands.

Mit dem Dubliner Übereinkommen der Dublin 3 Verordnung ist außerdem geregelt, dass immer nur ein Staat für die Prüfung eines Asylantrages zuständig ist. Und zwar der Staat, in dem die Antragsstellerin beziehungsweise der Antragssteller zuerst eingereist ist. So soll sichergestellt werden, dass Anträge nicht gleichzeitig oder nacheinander in mehreren Mitgliedstaaten gestellt werden. Gleichzeitig soll so auch verhindert werden, dass Asylsuchende von Staat zu Staat weitergereicht werden.

Mithilfe der Fingerabdruckdatenbank Eurodac können Behörden überprüfen, ob Asylsuchende bereits einen Asylantrag in einem anderen Mitgliedstaat gestellt haben oder registriert wurden. Wichtig ist, dass Asyl- und internationaler Schutz entsprechend dem GEAS erst mit Grenzübertritt in die EU greifen.

Solange die Menschen Europa nicht erreichen, gibt es also keine völkerrechtliche Verpflichtung der EU diesen Menschen Schutz zu gewähren. Deshalb setzt die EU seit 2015 verstärkt auf Abschottung. Etwa mithilfe der Überwachung der Grenzräume durch ihre Agentur für Grenz- und Küstenwache Frontex. Außerdem erschwert sie zunehmend die Arbeit ziviler Seenotrettung und arbeitet mit außereuropäischen Grenzschutzbehörden zusammen, die die Personen an einer Überfahrt in die EU hindern soll. Dadurch findet eine Auslagerung der EU-Außengrenzen statt.

 


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WELCHE PRAKTISCHEN PROBLEME GIBT ES BEI DER ANWENDUNG DES GEAS?

Das GEAS führt in der Praxis zu einer ganzen Reihe von Problemen. Zunächst gibt es stark divergierende Standards zwischen den EU-Mitgliedstaaten bei den Aufnahmebedingungen, bei Schutzquoten und auch bei der Qualität des Asylverfahrens.

In Griechenland und Italien kommt es beispielsweise immer wieder zu Verhaftungen Schutzsuchender und Verurteilung wegen illegalen Grenzübertrittes.

An den EU-Außengrenzen kommt es außerdem immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen. Verstärkt wird die Problematik, weil es keinen Verteilungsmechanismus für Asylsuchende zwischen Grenzstaaten – also solchen, die eine Außengrenze der EU haben und Binnenstaaten, die nur von anderen EU-Staaten umgeben sind, gibt. Aufgrund der Dublin-Regelungen werden die Mittelmeerstaaten faktisch überlastet, weil bei ihnen die meisten Schutzsuchenden eintreffen, für deren Asylverfahren sie dann verantwortlich sind.

Hinzu kommt die fehlende Aufnahmebereitschaft einiger EU-Staaten, die es schwer macht, eine Lösung für diese Probleme zu finden.

WELCHE REFORMEN WERDEN AKTUELL UNTER DEM STICHWORT „GEAS“ DISKUTIERT?

Im Juni 2023 haben sich die EU-Innenminister:nnen auf eine gemeinsame Position zur Reform des gemeinsamen europäischen Asylsystems geeinigt. Vorausgegangen waren jahrelange Verhandlungen der EU-Mitgliedstaaten. Die Reform sieht zunächst einen wirksamen Grenzschutz an den europäischen Außengrenzen vor. Das gesamte Prüfungs- und Rückführungsverfahren soll maximal sechs Monate dauern.

Das Verfahren soll an der EU-Außengrenze stattfinden. Bis zur Entscheidung über die individuelle Aussicht auf Asyl sollen die Schutzsuchenden in grenznahen Auffanglagern untergebracht werden. Diese Auffanglager sollen sich zwar auf EU-Gebiet befinden, jedoch sollen die Schutzsuchenden als nicht eingereist gelten.

Einreisen darf eine Person nur, wenn der Asylantrag eine realistische Aussicht auf Anerkennung hat. Ansonsten wird die Person an der EU-Außengrenze abgewiesen. Staatsangehörige mit einer Anerkennungsquote von über zwanzig Prozent sollen auch künftig das übliche Asylverfahren durchlaufen. Jedoch soll die Verteilung der Asylsuchenden auf die Mitgliedstaaten neu geregelt werden, wodurch die Dublin 3-Verordnung ersetzt wird.

Künftig soll durch einen sogenannten Solidaritätsmechanismus gewährleistet werden, dass alle Mitgliedstaaten einen Beitrag leisten. Entweder indem sie Schutzsuchende aufnehmen, indem sie finanzielle Beiträge leisten oder indem sie Personal entsenden.

Durch die Reform soll auch Sekundärmigration verhindert werden. Das heißt, Schutzsuchende sollen nach Ankunft in einen EU-Staat daran gehindert werden, in einen anderen EU-Staat weiterzureisen. Zum Beispiel, indem sie durch behördliche Meldepflichten an ein bestimmtes Gebiet gebunden werden. Außerdem sollen Personen, deren Antrag auf Asyl abgelehnt wurde, in sogenannte sichere Drittstaaten, über die sie nach Europa gelangt sind, abgeschoben werden können.

In diesem Zuge sollen auch die Kriterien für sichere Drittstaaten gelockert werden. Auch wenn mit der Reform einige der zuvor genannten Probleme des GEAS behoben werden könnten, so gibt es dennoch Kritik von Menschenrechtsorganisationen, Rechtsanwälten, aber auch der Links-Partei und Teilen der Grünen und der SPD.

Im Kern wird von der faktischen Abschaffung des Asyls in Europa gewarnt. Konkret weisen die Kritiker:innen darauf hin, dass der Zugang zur Beratung, der Zugang zur juristischer Vertretung und der Rechtsschutz effektiv nur schwer gewährleistet werden kann, wenn Schutzsuchende in Auffanglagern an den Grenzen untergebracht sind.

Dadurch könnte die Überprüfung den durchgeführten Asylverfahren massiv eingeschränkt werden. Neben den rechtlichen Bedenken gibt es auch weitere Kritik an den Auffanglagern. Die katastrophalen Zustände in den Ankunftslagern auf den griechischen Inseln lassen befürchten, dass menschenrechtliche Standards in den Auffanglagern, in denen Schutzsuchenden bis zum Abschluss des Prüfverfahrens bleiben müssen, nicht gewährleistet werden.

Der Erfolg der GEAS-Reform zur Herstellung europaweiter Handlungsfähigkeit in der Migrationsfrage sowie mögliche (nachteilige) Konsequenzen für die Menschenrechte der Schutzsuchenden lassen sich derzeit noch nicht final beurteilen. Dies wird sich erst zeigen, wenn die Reform längerfristig in Kraft ist. Es bleibt also spannend.

 

Text

Hannah Franz

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