Menschenrechte und Migration: Zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Christopher Paskowski bei der Premiere von "Wissen Unplugged".

Forschung & Fakultät |

Am 13. Dezember 2023 sprachen Sinthujan Varatharajah (Autor*in und Geograf*in), Elisabeth Hoffberger-Pippan (Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung) und Christopher Paskowski (Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl „Kritik des Rechts“ an der Bucerius Law School) mit Rahel Klein (Deutschlandfunk Nova) und Amna Franzke (ZEIT Campus) über das Verhältnis von Menschenrechten und Migration im Kontext der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.

Die Live-Aufzeichnung der Podiumsdiskussion war die Premiere von „Wissen Unplugged“, einer neuen Veranstaltungsreihe der ZEIT STIFTUNG BUCERIUS in Kooperation mit der Leibniz-Gemeinschaft, Holtzbrinck Berlin, Deutschlandfunk Nova und ZEIT Campus. Die Reihe bringt "Rising Stars" und bekannte Persönlichkeiten der Wissenschaft und Gesellschaft zusammen und in einen Austausch mit dem Publikum.

 

75 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte – Quo Vadis, Migration?

1948 ist die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verabschiedet worden. Als Resolution der UN-Generalversammlung ist sie als solche allerdings nicht bindend. Für die Auslegung verbindlicher Verträge und auch im Rahmen des Völkergewohnheitsrechts spielt sie aber nach wie vor eine zentrale Rolle, so Hoffberger-Pippan.

Paskowski erläuterte, dass die „Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung ganz klar unter den Eindrücken des 2. Weltkriegs und der Shoa stand“. Daher präge die Allgemeine Erklärung diverse verbindliche internationale Verträge und nationale Gesetze. Im Kontext von Migration sind insbesondere die Genfer Flüchtlingskonvention mit ihrem Gebot des Non-Refoulement sowie die Grundrechtecharta der EU und das deutsche Grundgesetz zu nennen.

 

 

Grundsätzlich gebe es also eine Fülle an Rechtsquellen, die sich mit Migration, dem rechtlichen Status und dem Schutz von Migrant*innen auseinandersetzten. Trotzdem sieht Varatharajah die rechtlichen Versprechen gegenüber Migrant*innen in Deutschland auf einer Skala von 1 bis 10 nur zu einem Drittel erfüllt. Die rechtlichen Normen wichen weit ab von der „gelebten Realität der Staatsbürger*innen“ und den Menschen mit legalem Aufenthaltsrecht in diesem Land“. Paskowski macht insbesondere eine Dissonanz zwischen Recht und Realität aus: Die Normen begründeten zwar weitreichende Verpflichtungen. Diese würden in der Realität jedoch nicht umgesetzt.

 

Wie sieht es beim Thema Staatenlosigkeit aus?

Die Allgemeine Erklärung kennt mit Art. 15 ein Recht auf Staatsangehörigkeit. Dennoch hat sich von 2014 bis 2022 die Zahl der Menschen ohne Staatsangehörigkeit, die in Deutschland leben, fast verdoppelt. Dazu komme es aufgrund von Ausbürgerungen, diskriminierender Regelungen und des drohenden, durch den Klimawandel bedingten Untergangs des Staatsgebietes von Inselstaaten, so Paskowski.

 

 

Gelöst werden könne dieses internationale Problem durch die Einbürgerung in andere Staaten. Gerade in Deutschland sei dies aber schwierig wegen der hohen Anforderungen, die an den Erwerb der Staatsbürgerschaft gestellt würden. In der Folge blieben viele Menschen staatenlos. Für Hoffberger-Pippan ist der Schutz von staatenlosen Personen aber international de jure dennoch garantiert. Das Diskriminierungsverbot verbiete die Ungleichbehandlung von Staatenlosen gegenüber Staatsbürger*innen. So haben auch Staatenlose das Recht auf gerichtliches Gehör, eine angemessene Grundversorgung und gesellschaftliche Integration.

Gerade die soziale Dimension sei aber besonders schwierig einklagbar. Ob und in welchem Umfang sich die Staaten dazu verpflichtet hätten, dieses Diskriminierungsverbot einzuhalten, sei oft schwierig zu beurteilen und daher schwer durchzusetzen. Genau deshalb ist es für Varatharajah wichtig, auch die Situationen von Staatenlosen innerhalb Deutschlands zu beleuchten: Nicht nur die skandalösen Situationen an den EU-Außengrenzen und auf dem Mittelmeer müssten beleuchtet werden, sondern auch der mangelnde Zugang von Staatenlosen in Deutschland zu Bildung, Unterbringung und Arbeit.

 

Und wie können diese Dilemmata gelöst werden?

Einig waren sich die Diskussionsteilnehmenden darin, dass die Lösung dieser Diskrepanz zwischen Recht und Realität nicht nur auf rechtlicher, sondern auch auf sozialer, politischer und ökonomischer Ebene angegangen werden müsse. Solange manche Staaten Staatenlosigkeit sogar gezielt als Maßnahme benutzten, um politisch unliebsame Personen oder ganze Bevölkerungsgruppen zu diskriminieren, liege eine Lösung jedenfalls in weiter Ferne.

 

Text

Tim Pöppel

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