Mit deutschem Schulabschluss in Abschiebehaft

Engagement für soziale Gerechtigkeit kann Leben verändern. Über den Kampf der Refugee Law Clinics und wie die Studierenden Anna und Tim dabei unterstützen.

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Ein Engagement für soziale Gerechtigkeit und die Rechte von Menschen, die in Abschiebehaft sind, kann lebensverändernde Auswirkungen haben. In diesem Artikel teilen Anna (Studierende der Bucerius Law School) und Tim (Studierender der Universität Hamburg) ihre Erfahrungen und Erkenntnisse aus ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit im Abschiebehaftprojekt.

Sie geben Einblick in die Arbeit der Law Clinics, das komplexe System der Abschiebehaft und wie sie sich für Einzelpersonen in solch schwierigen Situationen einsetzen. Ihr aktueller Fall, ein junger Mann aus Ägypten, erzählt eine Geschichte von Hoffnung, Kampf und den Bemühungen, in einem fremden Land Fuß zu fassen. 

 

Mit deutschem Schulabschluss in Abschiebehaft

Saïd (Name geändert) ist 24 Jahre alt, in Ägypten geboren und kam erstmals mit 14 Jahren als unbegleiteter Jugendlicher nach Deutschland. Er spricht fließend Deutsch und hat hier einen Schulabschluss erworben. Durch seinen langen Aufenthalt in Deutschland ist er hier sehr gut integriert, hat viele Freunde und sein soziales Umfeld hier.

Er ist 2014 mit einem Boot von Ägypten nach Europa geflohen und dann mit einem Auto nach Deutschland eingereist. Er wollte Deutsch lernen, hier die Schule besuchen und arbeiten. Insbesondere weil seine Eltern bei Protesten in Ägypten verstorben sind, sieht er dort keine Zukunft mehr für sich, sondern möchte in Deutschland bleiben.

Saïd wurde nach seiner Einreise vom Familiengericht ein Vormund bestellt. Als Minderjähriger hat er einen Asylantrag gestellt, der allerdings abgelehnt worden ist. Seit der Ablehnung des Antrages hat er versucht, einen Aufenthaltstitel und später auch eine Arbeitserlaubnis zu bekommen. Dabei musste er einige Gerichtsverfahren vor dem Verwaltungsgericht führen. Es ist ihm bislang jedoch nicht gelungen, einen Aufenthaltstitel und eine Arbeitserlaubnis zu erlangen.

 

"Saïd spricht fließend Deutsch und hat hier einen Schulabschluss erworben."

 

Er sollte nach Ägypten abgeschoben werden. Aus diesem Grund wurde gegen ihn Haft zur Sicherung der Abschiebung angeordnet. Für Anna und Tim ging es darum, ihn aus der Haft zu bekommen, sodass er wieder in Freiheit ist. Dabei haben sie eng mit seiner Anwältin aus dem Bereich des Migrationsrechts zusammengearbeitet, die einen Aufenthaltstitel für ihn erwirken wollte.

Sim-Karte und Haftbesuch in Glückstadt

Anna und Tim haben beim Amtsgericht Hamburg einen Haftaufhebungsantrag bzgl. des ersten Haftbeschlusses gestellt. Dies können Sie, weil Saïd sie als sogenannte "Person des Vertrauens" benannt hat und sie so am Verfahren beteiligt worden sind. Die Person des Vertrauens ist eine Besonderheit im Abschiebehaftrecht und macht Rechte im eigenen Namen und nicht als Vertreterin der inhaftierten Person geltend.

Nachdem die Haftdauer aus dem ersten Beschluss abgelaufen ist, wurde von der Ausländerbehörde ein Verlängerungsantrag gestellt. In diesem Zuge wurde vom Amtsgericht Itzehoe eine Anhörung von Saïd angesetzt, zu der Anna und Tim geladen wurden. Ihre Aufgabe war es, Saïd das Verfahren von Anfang an zu erklären und ihn über alle Verfahrensschritte auf dem Laufenden zu halten.

Wenn sie darüber hinaus noch unterstützen können, "z.B. Taschengeld oder Sim-Karte organisieren", dann machen sie dies gerne, so Anna und Tim. Sie waren während der gesamten Haftzeit stets für ihn telefonisch ansprechbar, damit er diese besser übersteht. Außerdem haben sie ihn am Anfang seiner Haft kurz in Glückstadt besucht.

 

Entlassung aus der Haft

Der größte Erfolg in diesem Fall war für Anna, Tim und Saïd, dass dieser im Anschluss an die Anhörung aus der Abschiebehafteinrichtung in Glückstadt entlassen wurde, weil der Verlängerungsantrag abgelehnt worden ist. Besonders war für sie, dass sie den Amtsrichter in der Anhörung davon überzeugen konnten, dass die Ausländerbehörde die Haftdauer nicht ausreichend begründet hat.

 

"Saïd sagt, dass es für seinen psychischen Zustand enorm wichtig war, dass er unterstützt wurde."

 

Oft seien sie nämlich erst am Verfahren beteiligt, wenn die Anhörung schon stattgefunden habe, sodass alles im schriftlichen Verfahren passiere. Schon vorher hat Saïd geäußert, dass es für seinen psychischen Zustand enorm wichtig und gut war, dass sie ihn unterstützt haben.

Bucerius Law Clinic und Projekt Abschiebehaft

Das gesamte System der Abschiebehaft ist eher unbekannt, so Anna und Tim. Auch sie wussten vor der Teilnahme am Projekt wenig über die Hintergründe des Verfahrens. Insbesondere die Tatsache, dass es sich um eine reine Verwaltungshaft handelt und die Personen ausschließlich dafür inhaftiert werden, um sie in ein anderes Land zu bringen, habe sie motiviert, am Projekt mitzuwirken.

Es ist eine der wenigen Möglichkeiten, so Anna und Tim, Gerichtsverfahren im eigenen Namen bis in die höchsten Instanzen zu führen. Auf diese Weise sammeln beide in dem Abschiebehaftberatungs-Projekt schon während des Studiums wichtige Erfahrungen, die im späteren Berufsleben hilfreich sein können.

Law Clinic

Die Law Clinic der Bucerius Law School ist eine gemeinnützige studentische Rechtsberatung. In der Law Clinic beraten StudentInnen der Bucerius Law School unter der Supervision von ehrenamtlich tätige AnwältInnen mittellose Ratsuchende, die von der Diakonie Hamburg und dem Verein Arbeit und Leben überwiesen werden.

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Mit unterschiedlichen Backgrounds für die Sache

Das Abschiebehaftprojekt ist ein Gemeinschaftsprojekt der (Refugee) Law Clinics der Universität Hamburg und der Bucerius Law School sowie der Refugee Law Clinic Kiel. Trotz einer ähnlichen Ausrichtung unterscheiden sich die Law Clinis voneinander.

An der Bucerius Law School wird mit der Unterstützung von Anwält:innen unter anderem in Bereichen des Arbeitsrechtes und des Aufenthaltsrechts beraten. Die Refugee Law Clinics beraten ausschließlich im Bereich des Asyl- und Aufenthaltsrechts.

Beim Abschiebehaftprojekt hingegen werden durch Menschen wie Anna und Tim Personen in Abschiebehaft ehrenamtlich rechtlich beraten und von ihnen vor Gericht unterstützt. Das sei wichtig, weil Personen in Abschiebehaft kaum Hilfe erhalten, so die Studierenden. Gründe dafür seien regelmäßig Sprachbarrieren und mangelnde finanzielle Mittel, aber auch der Mangel an Rechtsanwält:innen, die im Bereich des Abschiebehaftrechtes kompetent beraten können.

Anna und Tim sind Menschen mit ganz unterschiedlichen Backgrounds. In den Law Clinics gibt es zudem viele Jurastudierende, aber auch Menschen aus anderen Fachrichtungen. Sie arbeiten meist in Teams von drei Personen an einem Fall, die sich jedes Mal neu in ganz unterschiedlichen Konstellationen zusammensetzen.

Sie sind aber auch mit anderen Institutionen vernetzt wie der Besuchsgruppe in Glückstadt, der Kampagne in Glückstadt, dem Flüchtlingsrat in Schleswig-Holstein und in Hamburg sowie einigen Anwält:innen. Bei Bedarf tauschen sie als Institutionen sich untereinander aus und unterstützen einander bei ihren Tätigkeiten, wozu häufig auch Öffentlichkeitsarbeit gehört.

Wie es für Saïd weitergeht, ist aktuell noch unklar. Er konnte sich wieder in Freiheit darum kümmern, weiter in Deutschland bleiben zu dürfen. Denn vor dem Verwaltungsgericht Hamburg ist dazu weiterhin ein Verfahren anhängig. Einen Arbeitsvertrag für eine Ausbildung ab dem 1. August 2024 hat er bereits unterzeichnet. Ob er die Ausbildung beginnen darf, hängt nun von den Behörden und den Gerichten ab.

Text

Florian Helwich

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