Neue wirtschaftliche Risiken und Herausforderungen durch das neue Verbandssanktionsgesetz

3 Fragen an Dr. Claudia Junker und Dr. Oliver Sahan

Die Welt verändert sich rasant – die Covid-19 Pandemie wirkt dabei wie ein Turbo. Dies gilt auch für den Rechtsmarkt: Das Tempo der Digitalisierung nimmt enorm zu, während die Zahl der anfänglichen Zweifler immer weiter gegen Null geht. Das bringt viel Veränderung und schafft zahlreiche neue Geschäftschancen.
 
Gleichzeitig steigen die Haftungsrisiken für Berater. Eine zunehmend ins tägliche Geschäft eingreifende Regulierung macht sich breit und bindet mehr und mehr Managementkapazitäten: Datenschutz, Geldwäsche, berufsrechtliche Regulierung, Steuerrecht, Geheimnisschutz, internationale Handelsbeschränkungen, Anti Bribery Laws, Sozialversicherungs- und Arbeitszeitrecht. Wer langfristig erfolgreich sein will, muss die Balance schaffen zwischen mutiger Innovation und Unternehmergeist einerseits und professionellem Risk- und Crisis Management andererseits.

Im Vorfeld zur 10. Herbsttagung führte das Bucerius Center on the Legal Profession ein Interview mit Dr. Claudia Junker, Leiterin Law & Integrity/Generalbevollmächtigte und General Counsel bei der Deutschen Telekom, und Dr. Oliver Sahan, Managing Partner bei Roxin.

Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat Mitte des letzten Jahres den Entwurf eines Verbandssanktionsgesetzes mit dem prägnanten Titel „Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität“ vorgelegt. Die Regierung hat diesen Entwurf fast unverändert gebilligt. Rechts- und Wirtschaftsausschuss des Bundesrates hingegen haben ihn nun vehement abgelehnt. Wie bewerten Sie den bisherigen Verlauf und den aktuellen Stand des Gesetzgebungsprozesses?

Junker: Der bisherige Gesetzgebungsprozess zeigt, wie umstritten das Gesetzgebungsvorhaben ist. Zunächst hat die Regierung die Gesetzesvorlage nur vier Tage nach Abschluss der Verbandsanhörungen fast „handstreichartig“ verabschiedet. Dieses Vorgehen ist nicht nur bei den Verbänden auf massives Unterverständnis gestoßen. Bemerkenswert war auch die Stellungnahme des Nationalen Normenkontrollrats, welcher dem Referentenentwurf nicht nur schwerwiegende Fehler bei der Bewertung der Kostenfolgen für Justiz und Wirtschaft attestiert, sondern zusätzlich moniert, dass er für die Prüfung und Stellungnahme nur wenige Stunden Zeit gehabt habe. Die Beschlussempfehlungen des Rechts- und Wirtschaftsausschusses des Bundesrats schließlich sprechen von einem „unausgegorenen“ und „zeitweise unter offener Missachtung der Länder betriebenen Gesetzgebungsvorhaben“. Bei dieser harschen Kritik war es überraschend, dass das Plenum des Bundesrats sich der primären Ausschussempfehlung, die Gesetzesvorlage abzulehnen, nicht angeschlossen hat, sondern stattdessen, den subsidiären Empfehlungen folgend, Änderungen und Überprüfungen zu einzelnen Punkten empfohlen hat. Die Gesetzesvorlage wird im nächsten Schritt in den Bundestag eingebracht. Auf den weiteren Gang des Gesetzgebungsverfahrens sind wir gespannt.

Das Verbandssanktionsgesetz sieht weitreichende Konsequenzen für Unternehmen, deren Verantwortliche, die anwaltliche Beratungspraxis und die Justiz vor. Wo sehen Sie die größten Risiken bzw. Herausforderungen?

Sahan: Sollte der in dem aktuell diskutierten Regierungsentwurf vorgesehene Legalitätsgrundsatz Gesetz werden, würde dies zu einem starken Anstieg der Anzahl an Strafverfahren gegen Unternehmen und somit zu deutlich mehr Arbeit für alle Beteiligten führen. Zumindest auf Seiten der Justiz dürfte dies eine der Hauptherausforderungen sein. Für die Unternehmen würde ein solcher Verfolgungszwang in Kombination mit den massiv erhöhten Strafrahmen ein deutlich gesteigertes wirtschaftliches Risiko bedeuten. Der Gesetzentwurf sieht zudem vor, dass Unternehmen einen besonderen Strafnachlass erhalten sollen, wenn sie auf eigene Kosten eine interne Aufklärung des Sachverhalts „für die Staatsanwaltschaft“ vornehmen lassen. Der Entwurf lässt dabei viele Einzelfragen hinsichtlich der geforderten Ausgestaltung einer solchen internen Aufklärung offen. Es wird daher eine große Herausforderung für die Unternehmensverantwortlichen und die anwaltlichen Berater sein, bei der strategischen Entscheidung, ob ein kooperativer Verteidigungsansatz für das Unternehmen vorzugswürdig ist, die Erwartungen der Staatsanwaltschaft zutreffend zu antizipieren. Der Entwurf sieht darüber hinaus vor, dass ein Unternehmen nur dann den vollen Bonus bei der Strafzumessung erhält, wenn die interne Aufklärung von der eigentlichen Strafverteidigung strikt getrennt wird. Eine solche Trennung würde die finanzielle Belastung für die Unternehmen noch einmal steigern. Vor allem aber würde durch die Entkoppelung der Sachverhaltsermittlung von der Verteidigung des Unternehmens der eigentlich für die intern gewonnenen Erkenntnisse geltende Grundsatz der Beschlagnahmefreiheit – das sog. „legal privilege“ – verloren gehen.


Der Gesetzentwurf bezieht sich an verschiedenen Stellen auf Compliance-Management-Systeme und Compliance-Maßnahmen. Müssen Unternehmen „Compliance“ im Falle eines Inkrafttretens des Verbandssanktionsgesetzes völlig neu definieren?

Junker: Nein, das glaube ich nicht. Wie im privaten Bereich gilt auch im Unternehmensbereich schon immer der selbstverständliche Grundsatz, dass die geltenden Rechtsvorschriften einzuhalten sind. Die Rechtskonformität des Unternehmenshandelns durch geeignete Prozesse und Maßnahmen sicherzustellen, ist dabei seit jeher eine originäre Pflicht der Unternehmensleitung. Bereits nach geltendem Recht, ich spreche von den Paragraphen 30 und 130 des Ordnungswidrigkeitengesetzes, können unternehmensbezogene Straftaten zu einer Unternehmenshaftung führen, sofern diese von einer Leitungsperson selbst begangen oder durch das Kontrollversagen einer Leitungsperson ermöglicht oder begünstigt worden sind. Diese Zurechnungskonzeption wird im Grundsatz vom Verbandssanktionengesetz in § 3 des Entwurfs übernommen. Neu ist, dass sowohl präventive als auch nachträgliche Compliance-Maßnahmen von Gesetzes wegen nach § 15 des Entwurfs des Verbandssanktionengesetzes (Nr. 6 und 7) bei der Strafzumessung zu berücksichtigen sind – auch wenn das im Gesetzestext nicht ausdrücklich als „Compliance“ bezeichnet wird. Das bedeutet aber nicht, dass Compliance neu definiert werden müsste. Selbstverständlich werden Unternehmen aber ihre bestehenden Compliance-Management-Systeme überprüfen und ggfs. nachzubessern.

Die Auswirkungen des Verbandssanktionsgesetzes wird ausführlich auf der 10. Herbsttagung des Bucerius Center on the Legal Profession am 18. und 19. November behandelt. Seit 2010 ist die Tagung mit rund 300 Teilnehmenden Impulsgeber und wichtige Netzwerkplattform des Rechtsmarktes. Verantwortliche aus wirtschaftsberatenden Kanzleien treffen hier auf Unternehmensjuristinnen und Unternehmensjuristen zum gemeinsamen Gedanken- und Erfahrungsaustausch. Im Jubiläumsjahr findet die Konferenz aufgrund der Pandemie als virtuelle Konferenz statt.

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