Kolloquium am französischen Kassationshof

Prof. Kämmerer hielt am Kassationshof in Paris einen Vortrag zum Recht auf den gesetzlichen Richter und der Vorlagepflicht nach Art. 267 AEUV.

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Am 18. September 2023 veranstaltete der französische Kassationshof gemeinsam mit der École nationale de la magistrature (ENM) ein Kolloquium zum Vorabentscheidungsverfahren des Art. 267 AEUV und zur Frage, welche subjektiven Rechte den Parteien des Ausgangsverfahrens zustehen.

Als Teil des Panels, das von Professorin Hélène Gaudin (Universität Toulouse-Capitole) moderiert wurde, trug Prof. Jörn Axel Kämmerer zum Recht auf den gesetzlichen Richter im Zusammenhang mit Vorlagen an den EuGH im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens vor.

 

Absicherung der Vorlagepflicht durch das Recht auf den gesetzlichen Richter

Wie Prof. Kämmerer in seinem Vortrag ausführte, ist ein zentrales Instrument zur Absicherung der Vorlagepflicht das durch das Grundgesetz garantierte Recht auf den gesetzlichen Richter. Die Anerkennung des EuGH als gesetzlicher Richter im Sinne des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG durch das Bundesverfassungsgericht hat dem Einzelnen die Möglichkeit eröffnet, Verstöße gegen die Vorlagepflicht des Art. 267 Abs. 3 AEUV mit der Verfassungsbeschwerde zu rügen.

Auf diese Weise erwachse dem Einzelnen über das Recht auf den gesetzlichen Richter grundsätzlich ein subjektives und justiziables Recht auf eine Vorlage an den EuGH.

 

 

Inkongruenzen des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG und des Art. 267 AEUV

Nicht unwesentliche Beschränkungen erfahre dieses subjektive Recht allerdings durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG. Eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter bejaht das Gericht nämlich nur dann, wenn der Verstoß gegen die Vorlagepflicht willkürlich ist.

Diese zurückgenommene Prüfungsdichte führe dazu, dass nicht jede Verletzung der Vorlagepflicht, wie sie sich aus Art. 267 AEUV und der Rechtsprechung des EuGH ergibt, zugleich eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter darstellt.

 

Auswirkungen der jüngeren BVerfG-Rechtsprechung

Schließlich ging Prof. Kämmerer noch auf die jüngere Rechtsprechung des BVerfG im Bereich der Unionsgrundrechte sowie im Bereich der Ultra-Vires-Kontrolle ein. Diese Rechtsprechung in diesen Bereichen werfe Fragen danach auf, ob in Zukunft eine Schwächung der deutschen Vorlagepraxis sowie ihrer verfassungsrechtlichen Absicherung durch das Recht auf den gesetzlichen Richter zu befürchten seien.

 

Rechtsschutzlücken?

Die beschränkte Reichweite des Rechts auf den gesetzlichen Richter als Instrument zur Absicherung der Vorlagepflicht an den EuGH sei, so Prof. Kämmerer abschließend, jedoch nicht als Rechtsschutzlücke zu charakterisieren.

Da weder das Unionsrecht noch die EMRK die Mitgliedstaaten dazu verpflichteten, ein Verfahren zur Geltendmachung des Rechts auf den gesetzlichen Richter wegen Verletzungen der Vorlagepflicht vorzuhalten, handele es sich bei Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG eher um ein zusätzlich gewährtes Recht.

Dieses habe sich trotz der genannten Einschränkungen bisher als wirksam erwiesen, jedenfalls grobe Verletzungen der Vorlagepflicht durch deutsche Gerichte zu verhindern.

 

Text

Leonard Amaru Feil-Baron

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